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"Strategisch am Start haben und Performance zeitnah erhöhen" - von Wortwolken und Phrasengedresche


Setzen Sie sich in ein beliebiges Meeting und hören Sie dem zu, was dort gesagt wird. Worüber wird gesprochen, welche Worte werden gewählt, was wird nicht gesagt?


Wenn Sprache eine Struktur ist, die unsere Welt beschreibt, dann geben die gesprochenen Worte eines Menschen auch Auskunft darüber, in welcher Welt dieser Mensch lebt bzw. wo die Grenzen seiner Welt liegen.


Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. -Ludwig Wittgenstein

Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, eine Liste mit Sprachfloskeln anzulegen. Auf dieser Liste stehen Worte wie "zeitnah", "im Nachgang", "am Start haben", "ein Stück weit" oder "im Einsatz haben".


Was ist falsch an diesen Worten? Nun, nichts. Rein sprachlich sind es halt unschöne, leblose Konstrukte, meist dominiert von einem Hauptwortstil, den man aus Behördenbriefen kennt. Aber warum sprechen wir so? Warum sagen wir nicht "bald", "danach", "beginnen", "ein bisschen" oder "einsetzen"? Wir verwenden stattdessen Phrasen, die nur in einer konkreten Kultur (Unternehmen) Bedeutung haben, in einer anderen Kultur (Familie) dagegen albern klingen oder sinnlos sind.


Anwälte verwenden andere Sprache als Manager, Lehrer andere als Mediziner. Die Welt ist kodiert und verschlüsselt. Die gewählte Sprache wird zur Identifikation, aber auch zur Abgrenzung verwendet. Erinnern Sie sich an ein Gespräch mit ihrem Arzt, in dem Sie nichts verstanden haben?


Sprache als Verantwortung


Eines der Prinzipien für eine fruchtbaren Dialog ist es, sich klar, verständlich und präzise auszudrücken ('Articulate' nach William Isaacs). Dieses Prinzip überträgt dem Verantwortung, der sich mitteilt. Der Sender ist verantwortlich, dass seine Botschaft verstanden wird - notfalls muss genau das überprüft werden.


Wenn Sie also im nächsten Meeting sitzen, dann beobachten Sie sich: verwenden Sie eine klare, präzise Sprache? Wieviele Floskeln oder Phrasen benützen Sie? Machen Sie den Sinn des Gesagten selbst zum Inhalt - überprüfen Sie, ob ihre Worte so verstanden wurden, wie Sie es wollten?


In einem Gespräch teilen wir unsere Wirklichkeit mit, also das Bild von der Welt, welches wir subjektiv haben. Andere haben ein anderes Bild. Kommunikation ist also immer auch eine Übersetzungsleistung. Floskeln helfen nicht, sich verständlich zu machen, sondern verschleiern und sind Codes, die jeder anders interpretieren mag - Missverständnisse sind einprogrammiert.


Die Nebelkerzen des Managements


Aber auch Floskeln haben einen Zweck. "Wir werden uns strategisch neu aufstellen und unsere Performance am Markt steigern." Das klingt nach Tatendrang, sagt aber exakt nichts aus. Es verschleiert die Tatsache, dass dieser Manager vielleicht selbst keine Ahnung hat, wie er Digitalisierung bewältigen soll, wie er innovative Produkte hervorbringen und damit unbekannte Kunden überzeugen soll. Also werden kantige Floskeln rausgehauen und keiner fragt genauer nach.


Wenn ich Mitarbeiter dumm halten will, dann bewährt sich dieses Mittel. Wenn ich jedoch Menschen auf Augenhöhe begegnen und für mehr Transparenz sorgen will, dann sollte Klarheit, Präzision und Verständlichkeit einziehen.


Mit wenigen Worten sagen, dass man nichts zu sagen hat - das ist schwieriger als mit vielen Worten dieselbe Tatsache zu verschleiern.

Pieter Bruegel der Ältere - Der Turm zu Babel

Vom Denken zum Sprechen


Wenn Ihnen die Floskeln um die Ohren fliegen, dann ist das nur ein Hinweis darauf, dass Ihnen denkfaule Menschen gegenüber sitzen. Es gibt ein lustiges Spiel, in dem eine Gruppe ein möglichst schwieriges Wort vorspielen muss, und zwar pantomimisch, ohne zu sprechen. Eine andere Gruppe muss das Wort erraten und gewinnt einen Punkt.


Worte die 'Autofahren' oder 'Spaghetti' sind einfach, aber wie wäre es mit 'Aktenordner' oder 'Koalitionsverhandlung'? Um so ein Wort vorzuspielen, muss ich es erst verstehen, zerlegen und verrückte Wege finden, es verständlich zu machen. Ähnlich ist es in einer gelungenen Kommunikation.


Denn klare, präzise und verständliche Sprache ist zu allererst auch eine Denkanforderung. Schnell verwenden wir eine Floskel oder einen Fachausdruck, der für uns eine gewisse Bedeutung hat. Aber wir können nicht wissen, ob dieser Begriff für alle anderen die gleiche Bedeutung hat.


Wurden Sie schonmal von ihrem Kind gefragt, was Sie jeden Tag im Büro tun? Was ihr Job ist? Erklären Sie ihrem Kind also mal Buchhaltung, Key Account Management oder SCRUM-Master. Sie werden auf Floskeln oder Fachausdrücke verzichten müssen. Sie müssen es durchdenken und wirklich verstehen, um es zu erklären.


Neue Sprache für eine neue Welt


Um etwas Neues zu kreieren brauchen wir auch eine neue Sprache. Die alten Codes tragen eine alte Bedeutung in sich, also schmeißen wir sie weg und fangen an, klar, präzise und ohne Floskeln zu sprechen. So selbstverständlich ist das nicht, schließlich feilen die agilen New Worker bereits fleißig neue Codes und Floskeln und grenzen sich schon wieder von den anderen, den Traditionalisten, ab.


Eine neue Arbeitswelt braucht also eine neue Sprache - aber auch Menschen, die sich für die Verständlichkeit ihrer Sprache verantwortlich machen. Werfen Sie Floskeln aus Ihrem Sprachschatz, durchdringen Sie das, was Sie ausdrücken möchten, teilen Sie sich in klarer Sprache mit und überprüfen Sie, ob die Bedeutung von ihrem Gegenüber auch verstanden wurde.

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