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Unternehmen brauchen Persönlichkeiten - und verhindern sie trotzdem

Im Januar 2018 lud Prof. Frank Widmayer mich an die Karlshochschule ein, um bei seiner Veranstaltung "Happy new work" ein World Cafe zu moderieren. In seiner Eröffnungsrede mit dem Titel "New, good & great" zeigte Frank verschiedene Aspekte der neue Arbeit auf: Prozesse, Strukturen und Werkzeuge, damit Menschen produktiv sind (good work), Werte teilen und Sinnvolles tun (great work) sowie eine Organisation und Kultur, in der beides möglich wird (new work).


Mit diesem Konzept bietet Frank einen gedanklichen Rahmen, um verschiedene Motivationen Einklang zu bringen. Weitere Impulsvorträge boten tiefere Einblicke und zeigten, wie new, good & great in der Realität möglich werden. Einer der Vortragenden war Fabian Silberer, der Gründer und CEO von der SEVENIT GmbH in Offenburg.


Sein noch junges Unternehmen musste in den letzten Jahren schnelles Wachstum bewältigen, sodass sich bald die Frage nach Struktur, Organisation, Prozessen etc. stellte. Wie sonst sollte Wachstum kontrolliert werden? Üblicherweise würden in dieser Phase bekannte Strukturen reproduziert, konditionierte Muster abgerufen, Verhalten kopiert (Otto Scharmer spricht hier von 'download') werden. Doch Fabian Silberer war mutig genug, einen neuen Weg zu gehen.


Unterstützt von Frank Widmayer tat er alles, um die Selbst-Organisation seiner Mitarbeiter zu stärken, teilte Macht, übertrug Verantwortung, schuf Lernräume, ließ Experimente zu, vermied Regeln und erneuerte immer wieder das Vertrauen in die Menschen. Hat das immer alles funktioniert? Natürlich nicht. Es gab Rückfälle und Aha-Erlebnisse, doch die blieben die Ausnahme. Und immer boten Freiheit und Vertrauen mehr Agilität, Kreativität, Wert als Kontrolle. In seinem Vortrag präsentierte Fabian schließlich seine wichtigsten Erkenntnisse, einer davon lautet:


"Selbst-Management benötigt unglaublich viel Persönlichkeitsentwicklung."

Dieser Satz hat mich beschäftigt. Bin ich doch selbst Trainer, Coach & Therapeut und helfe Menschen seit Jahren in ihrer Entwicklung. Ich weiß, welchen Unterschied es macht, ob ein Mensch Bewusstheit hat, Verantwortung übernimmt, sich selbst reflektiert und es akzeptieren kann, dass andere Menschen andere Wirklichkeiten erleben. Ich weiß, wie angenehm der Umgang mit einer gereiften Persönlichkeit ist und - aus eigener Erfahrung - wieviel innere 'Arbeit' diese Reife erfordert.


Persönlichkeitsentwicklung ist Veränderung - und der erste Schritt die bewusste Entscheidung. Erst indem ein Mensch die Verantwortung für sich und seine Entwicklung übernimmt, ist Veränderung überhaupt möglich. In seinem Vortrag deutet Fabian Silberer indirekt auf mehrere Widersprüche hin:





1. Man kann Menschen nicht entwickeln


Die Aussage, dass "Selbst-Management viel Persönlichkeitsentwicklung benötigt", sagt nicht, dass dies die Aufgabe von Führungskräften ist. Ein Mensch kann nicht einen anderen entwickeln. Wenn ein Mitarbeiter bei SEVENIT Verantwortung für seine eigene Entwicklung übernimmt, dann kann eine Führungskraft ihn darin nur unterstützen, Ressourcen bereitstellen und so wenig im Weg stehen wie möglich. Aber sie kann den Mitarbeiter nicht entwickeln.


Das ist der erste Widerspruch: wer sich entwickeln will, muss nicht entwickelt werden. Wer sich nicht entwickeln will, kann nicht entwickelt werden. Was also kann ein Unternehmen überhaupt 'tun', um Menschen zu entwickeln? Wenn der Mitarbeiter Bewusstheit hat und die Entscheidung für seine eigene Entwicklung trifft, dann wird er sich ein Umfeld suchen, in dem das möglich ist. Welche Rolle Unternehmen dabei spielen, darauf gehe ich weiter unten ein.


2. Wer nach Verantwortung drängt, ist für sie (meist) nicht geeignet


Selbstorganisation setzt voraus, dass Menschen Verantwortung übernehmen. Traditionell ist Verantwortung verknüpft mit Status. Wer viel Verantwortung trägt - beispielsweise für Mitarbeiter oder Umsatz - genießt automatisch mehr Ansehen und wird vermutlich auch besser bezahlt. Aus diesem Grund suchen manche Menschen die Verantwortung. Doch das bedeutet nicht, dass sie automatisch auch die Verantwortung für sich selbst, ihre Gedanken, Gefühle, Handlungen übernehmen, eine emotionale Reife entwickeln und sich selbst und andere führen können.


Wer nach Verantwortung = Status drängt, ist am wenigsten geeignet, in einem selbstorganisierten System zu arbeiten. Das bedeutet nicht, dass in solchen Systemen die Mitarbeiter keine Anerkennung bekommen. Diese ist nur nicht an (Führungs-)rollen oder Hierarchie-Ebenen geknüpft.


Wenn es nicht nur eine These, sondern die Erfahrung eines jungen Unternehmers ist, dass Selbst-Management viel Persönlichkeitsentwicklung benötigt, und wenn man Menschen nicht entwickeln kann - wie geschieht dann diese Persönlichkeitsentwicklung (unabhängig von Unternehmen)?


Dafür braucht es einen Impuls (häufig eine latente oder akute Krise) und den Mut, die sogenannte Komfortzone zu verlassen. Es braucht eine unterstützende Energie (Liebe, eine Vision, Mentor/in). Und - das ist für Unternehmen wichtig - eine Kultur, in der die Veränderung nicht verhindert, sondern sogar erwünscht ist.


Geht man davon aus, dass Menschen den Veränderungsimpuls selbst in sich spüren und sich die unterstützenden Kräfte selbst suchen müssen, so bleibt etwas, das Unternehmen aktiv anbieten können: ein sicheres Umfeld.


Bei Niklas Luhman determinieren sich Systeme durch Kommunikationsereignisse im kulturellen Rahmen. Vereinfacht gesprochen: Inhalt und Qualität der sozialen Interaktionen und der (informellen und formalen) Kommunikation sind systembestimmend. Kann ein Unternehmen hier ansetzen? Redet es nur über Transformation, Veränderung, Entwicklung - ist aber nicht in der Lage, die eigenen sozialen Interaktionen und Kommunikationsereignisse bewusst zu transformieren, zu verändern und zu entwickeln? Und wie könnte das überhaupt funktionieren?


Einer der großen Lehrer der Gestalttherapie - Werner Bock - hat es so formuliert:


"Was ist, darf sein. Was sein darf, verändert sich."

Das können Unternehmen tun: das Ungesagte aussprechen. Das Ungewollte akzeptieren. Das Verborgene sichtbar machen. Erst wenn etwas sein darf, kann es sich verändern. Das jedoch wirft ein neues Licht auf Führung und Organisationsentwicklung. Ihr Ziel muss es sein, Veränderung an sich - nicht nur die erwünschte, gerichtete oder kontrollierte - zuzulassen und sie als immanente Kraft zu begreifen. Veränderung in Systemen findet kontinuierlich statt, ohne dass Führungskräfte dazu einen Startschuss geben müssen. Das Problem in Organisationen ist aber, dass nur die erwünschte Veränderung stattfinden soll.


Das ist ein weiterer Widerspruch: obwohl Unternehmen ständig von Veränderung sprechen, tun sie trotzdem alles, um diese zu unterbinden. Mutige Unternehmer und Führungskräfte akzeptieren jedoch, dass sie in Wahrheit wenig kontrollieren können. Sie öffnen den Raum für Veränderung, gehen in Dialog, kultivieren ihre Unsicherheit und lassen die 'schöpferische Indifferenz' zu, von der Solomon Friedlander schreibt: dem konturlosen Zustand, während sich ein System wandelt.


Dann wird das Unternehmen auch zum Ort, an dem Menschen sich entwickeln können. Sie tun das von allein, Führungskräfte können lediglich Mentorinnen und Mentoren sein - mehr nicht. Manche Mitarbeiter wollen das nicht, diese werden gehen. Andere werden kommen und das System stärken.


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