Yoga gehört zum westlichen Lebensstil wie Hybridautos, Netflix oder Chai Latte. Wem ist noch bewusst, dass Yoga zu allererst eine Weisheitslehre und die praktizierten Asanas nur eines von mehreren Elementen ist? Daß yogisches Leben Meditation, Atem, Askese und 'rechtes Verhalten' einschließt?
Heute findet man Yoga oft auf gleicher Ebene wie Wellness oder Sport. Gegen diese Betrachtung ist nichts einzuwenden, doch das volle Potential entfaltet Yoga dann nicht.
Und was hat das mit New Work zu tun?
Eine Weile schon tauche ich in die bunte New-Work-Welt ein. Wie Konfetti fliegen mir die Begriffe um die Ohren: agile World-Cafes, Design Thinking, WOL, Open Spaces, Sociokratie, Barcamps und so fort - mir schwirrt der Kopf und es inspiriert mich. Es ist wie ein großer bunter Kindergeburtstag, es ist schrill und laut, die Lautesten reisen von Bühne zu Bühne und hauen ihre Thesen raus.
Ich liebe diesen Krach, die Netzwerke, die Wevents, Vorträge, kreativen Konzepte und die Menschen mit leuchtenden Augen. Ich schreite gerne Seit‘ an Seite für eine bessere, menschlichere Arbeitswelt. Zu lange habe ich selbst in kranken Milieus und Hierarchien verbracht, mich für Posten krumm gemacht und dämliche Rituale abgespult. Immer noch finde ich machtgierige und statusbessesene Manager, naja, meist lächerlich und manchmal ärgerlich.
Warum also nicht eine schöne neue Welt kreieren?
Das ganze Getöse um New Work erinnert mich an die Art, wie viele Menschen Yoga praktizieren. Es ist cool. Es tut gut. Es IST gut! Es geht darum, dass wir uns besser fühlen. Also probieren wir neue agile Formate aus, finden diese großartig. Wir fühlen uns total toll. Avantgarde. Das ist der Wellness-Charakter von New Work.
Organisationen müssen aber auch agiler werden, damit sie die Digitalisierung überleben. New Work ist also auch zweckorientiert. Rational. Damit wir innovativ, produktiv, effektiv, kreativ und attraktiv oder sonst etwas -ives bleiben. Das ist der Performance-Charakter von New Work.
Das ist nicht verwerflich. Aber wenn wir die Kraft dieser so wünschenswerten Bewegung nicht mit anderen dringlichen Transformationen vernetzen, dann wird New Work zur 'agilen Egozentrik'. Meine Analyse ist sicher nicht umfassend, aber ich sehe kraftvolle, globale Bewegungen in folgenden Feldern:
Ein neues ökologisches Bewusstsein
Unternehmen schöpfen Wert aus nicht-nachwachsenden Rohstoffen, sie beuten natürliche Ressourcen aus und hinterlassen giftigen Müll, Emissionen und Zerstörung von Lebensräumen.
Nicht nur die Herstellung, auch der Konsum von Gütern kann negative Externalitäten erzeugen - also Kosten durch Schäden, für die weder Produzent noch Konsument aufkommen, sondern welche Dritten (der Allgemeinheit) aufgebürdet werden. Beispielsweise Feinstaub in Städten, Verpackungsmüll, Plastikmüll, Atommüll, Vergiftung von Ökosystemen bei der Ausbeutung von Minen, oder bei der nicht fachgerechten Entsorgung von Mobiltelefonen oder Frachtschiffe.
Ich wünsche mir New Ecology. Cradle-to-cradle, Lifecycle-Management, positive Externalities, Transparenz und nachhaltigen Konsum. Ich wünsche mir mehr Unternehmer und Führungskräfte, die davon motiviert sind, Verantwortung für Umwelt und Natur zu übernehmen. Ich wünsche mir die Erkenntnis in Unternehmen, dass sie vom gleichen Ökosystem abhängig sind wie alle anderen - und danach handeln.
Eine soziale Transformation
Menschen leiden unter Organisationen. Damit meine ich nicht die Mitarbeiter, die unter Hierarchien leiden und sich selbstbestimmtes Arbeiten wünschen. Ich schließe vielmehr alle Lieferanten, lokale Communities und sonstige Stakeholder ein. Also alle, die ein Interesse daran haben, dass Unternehmen auch ihrer sozialen Verantwortung nachkommen.
Ich wünsche mir New Social Responsibility. Organisationen sind Systeme, die mit anderen Systemen vernetzt sind. Ich wünsche mir Führungskräfte, die CSR nicht nur in dem Maße wahrnehmen, wie es ihre Pflicht ist.
Verantwortliche Führung bedeutet, die Lebensbedingungen aller Menschen - nicht nur der Konsumenten - zu verbessern.
Eine neues ökonomisches Paradigma
Jetzt wird es heikel. Es geht um Kapitalismus - und der hat uns Wohlstand gebracht. Gesundheit, Wachstum, Wohlstand. Das ist das Mantra. Heute hat jeder zwei Autos. Drei Fernseher. Immobilien. Keiner muss darben, für jeden ist gesorgt. Danke Kapitalismus.
Erstens stimmt das nicht: fast 20% der Menschen in Deutschland sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Andererseits besitzt 1% der Haushalte im Land 33% des gesamten Vermögens. Viele sind vom Wachstum längst abgehängt, wenige profitieren dafür überdurchschnittlich.
Richten wir den Blick in die Zukunft, sieht die Welt noch düsterer aus. Wieviele Fernseher brauchen Sie noch? Wie bringen wir die klaffende, ungerechte Verteilung von Vermögen ins Gleichgewicht? Wie begegnen wir der durch die Digitalisierung wieder brisanten Teilung von Arbeit und Kapital? Und warum lassen wir es zu, dass der Kapitalismus keine Mechanismen aufweist, um die oben benannte ökologische und soziale Verantwortung zu integrieren? Im Gegenteil:
Negative Externalities sind in der Logik des Kapitalismus wünschenswert, da sie private Gewinne erhöhen.
Ich wünsche mir eine New Economy. Nachhaltigkeit statt wahnhaftem Wachstum. Mehr Chancengleichheit statt extremer Vermögensgefälle. Mehr Glück statt GDP. Kann man Autos und Mobiltelefone nicht so bauen, dass sie Komponentenweise und
erneuert werden können? Kann nicht der Erhalt von Gütern steuerlich belohnt werden statt anhaltender Konsum? Kann Vermögen nicht besser verteilt werden?
Zugegeben, ich streife diese Felder nur. Es ist mir unmöglich, in wenigen Zeilen alle Konzepte zu benennen, die bereits existieren oder an denen gearbeitet wird. Aber es gibt sie, zum Beispiel Leyla Acaroglus UnSchool für Disruptive Design, Otto Scharmers Transforming Capitalism Lab oder Gaia Education für nachhaltige Entwicklung. Weltweit arbeiten unzählige intelligente und motivierte Menschen daran, Konzepte zu entwickeln und diese fundamentalen Probleme zu lösen. Sie probieren aus, testen, verwerfen, entwickeln neu. Sie vernetzen sich.
Sinnvoll wird die Kraft von New Work, wenn wir sie auch für dringend notwendige Transformationen in Gesellschaft und Wirtschaft nützen. Wenn wir bei allen Bemühungen um neue Organisationsformen, mehr Agilität, Innovation, Empathie und weniger Hierarchie auch über Nachhaltigkeit und soziale und ökologische Verantwortung nachdenken.
Wenn wir Systemveränderungen jenseits der Unternehmensgrenzen anstreben und regenerative Systeme entwickeln - mikro- und makro-ökonomisch. Wenn wir 'connected organizations' anstreben, also anerkennen, dass Organisationen nicht nur untereinander verbunden sind, sondern auch mit anderen (Öko-)systemen.
In New Work steckt viel Energie und eine große Sehnsucht. Ich wünsche mir, dass New Work Teil einer noch größeren Bewegung wird: der Suche nach Konzepten für eine Gesellschaft und Ökonomie 4.0
Sonst entfaltet New Work nicht das volle Potential, das in ihm steckt.
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